Die Digitalisierung macht auch vor Fahrradschlössern nicht Halt. Doch mit Bluetooth ist eben nicht alles besser.
Würden Sie Ihr Fahrrad mit einem Stück Schnur an eine Laterne binden, um es vor Dieben zu sichern? Wir auch nicht. Genau das scheint allerdings ein Hersteller zu erwarten, der ein Fahrradschloss mit Bluetooth-Schnittstelle (wahlweise auch mit Fingerabdrucksensor) auf den Markt bringt. Besonders ironisch: er wirbt für das Stahlkabel-Schloss mit „IoT-Sicherheit“, was für Sicherheitsexperten ein Widerspruch in sich ist.
Stellen Sie sich folgendes vor: Sie wollten sich etwas gönnen und haben sich ein neues Fahrrad gekauft. Da es gerne etwas mehr sein durfte als das Basismodell, haben Sie ein bisschen mehr Geld in die Hand genommen als die meisten es für ein Fahrrad tun würden. Natürlich benötigt jedes Fahrrad ein Schloss, damit es niemand aus dem Hausflur oder vor dem Supermarkt stehlen kann.
Wenn es allerdings um die Auswahl des richtigen Schlosses geht, dann werden Sie schnell von der Auswahl überwältigt, die der Markt bereithält. Die Preise reichen von 5 Euro bis über 200. Die untere Preiskategorie fällt schon einmal raus, denn Sie haben bereits gehört, dass billige Schlösser nichts taugen und teilweise sogar ohne Werkzeuge geöffnet werden können. Ihr Blick fällt beim Suchen im Netz auf ein Schloss für ca. 130 Euro, preislich also etwa im „oberen Mittelfeld“. Es verfügt über eine Bluetooth-Schnittstelle, die das Schloss ohne Schlüssel öffnen kann. Alternativ steht ein Fingerabdrucksensor zur Verfügung. Eine Gummikappe verschließt die empfindliche Elektronik. Klingt gut: das Schloss benötigt keine Schlüssel, die Sie verlieren könnten und somit wächst der eh schon dicke Schlüsselbund nicht noch weiter.
Ein Schloss, dass elektronische Komponenten eingebaut hat, braucht Strom. Dafür haben die Schlösser eigene Akkus oder Batterien eingebaut , die laut Hersteller mehrere Monate lang halten sollen. Ob und wie weit die Akkus dieses Versprechen halten können, muss die Zeit zeigen. Generell sind viele Batterie- und Akkutypen in ihrer Leistung und Haltbarkeit stark von der Umgebungstemperatur abhängig - bei sehr niedrigen Temperaturen nimmt die Leistung in den meisten Fällen ab. Im ungünstigsten Fall steht ein Radfahrer also vor einem verschlossenen Fahrrad, dessen Schloss sich nicht öffnen lässt. Entweder ist der Akku des Schlosses leer oder der Akku des Smartphones. Bei Schlössern, deren Batterien von außen zugänglich sind erübrigt sich jegliche Diskussion über Sicherheit. Einmal zugeschnappt sind die Schlösser nicht mehr zerstörungsfrei zu öffnen - anders als bei Autos haben die smarten Fahrradschlösser nämlich keinen Notfallschlüssel. Handelt es sich jedoch um ein Kabelschloss, bleibt dem ausgesperrten Radler zumindest der schwache Trost, dass es nicht allzu schwierig sein wird, das Schloss zu öffnen.
Was jedoch auf dem Papier gut aussieht, hat in der Praxis deutliche Schwächen. Einige Firmen, die versucht haben, per Crowdfunding ein "smartes" Fahrradschloss auf den Markt zu bringen, sind in der Vergangenheit bereits gescheitert und haben weitere Entwicklungsarbeiten eingestellt. Schlösser wie diese sind also nicht neu – allerdings ist bei diesem Schloss deutlich zu sehen, was passiert, wenn ein Software-Hersteller sich in einem ihm offensichtlich fremden Geschäftsfeld versucht. Wir sprechen hier noch nicht einmal über die Angreifbarkeit auf elektronischem Weg, wie sie auch bei Türschlössern schon dutzendfach bewiesen wurde. Selbst wenn wir einmal annehmen, dass die Elektronik des Schlosses absolut fehlerfrei und 100% sicher ist, springt eine Schwachstelle das geübte Auge geradezu an: jenseits der ausgeklügelten Elektronik übernimmt ein normales Stahlseil oder eine Kette die Sicherung des Fahrrades. Und mit der Überwindung von Stahlseilen und Ketten haben Fahrraddiebe schon mehrere Jahrzehnte Erfahrung. Für eine Drahtschere oder einen Bolzenschneider stellt ein solches Schloss kein ernst zu nehmendes Hindernis dar. Nicht umsonst werden Kabelschlösser von Polizisten auch manchmal als „Geschenkband“ bezeichnet. Professionelle Fahrraddiebe nutzen bisweilen sogar akkugetriebene Trennschleifer, um einem widerspenstigen Schloss zu Leibe zu rücken.
Wer also auf der Suche nach einem guten Fahrradschloss ist, sollte nicht nur auf den Preis und Komfort achten, sondern auch über die bloße Bedienung hinausschauen. Für den gleichen Preis, der für das elektronische Schloss fällig wird, bekommen Sie auch schon ein Schloss, das zwar nicht "smart" ist, aber von einem Hersteller stammt, der bereits Erfahrung in der Herstellung von Schlössern hat. Selbst wer viel Geld für ein smartes Schloss ausgibt, hat im schlimmsten Fall an der falschen Stelle gespart. Es ist genau wie bei jeder Art von Absicherung, ob in der virtuellen oder realen Welt: wer es einem Angreifer so schwer wie möglich macht, der hat die Nase vorn. Das gilt für Fahrraddiebe oder Einbrecher genauso wie für Cyberkriminelle.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind elektronische Schlösser einfach noch keine echte Alternative zur existierenden „alten“ Technologie mit Schlüssel und Schloss. Es mag im Vergleich zu moderner digitaler Technologie geradezu altbacken wirken. Aber: es funktioniert erwiesenermaßen.